Vom Selztal-Ensemble zum Hochregallager.

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Als die Gemeindeverwaltung vor vier Jahren für eine Bushaltestelle (18 m², geplante Baukosten: 50.000,00 €) ein paar Quadratmeter Grund und Boden benötigte, hat sie, aus welchen Gründen auch immer, gleich das gesamte Grundstück Ecke Kreuznacher Straße/Talstraße von über 2.000 m² gekauft. Es dauerte auch nicht lange, bis die FWG für die Verwertung des „Restgrundstücks“ nicht nur den gesamten Gemeinderat, sondern insbesondere auch Ortsbürgermeister Barth (CDU) mit der Idee vom gemeinschaftlichen Bauen und Wohnen begeisterte. Als Koordinator des Projekts stellte sich sofort der Architekt und CDU-Parteifreund des Ortsbürgermeisters, Roland Schlimmer, zur Verfügung, der rasch mit der Planung und Vermarktung des „Ensembles“ begann („Es ist ein innovatives Bauprojekt in idealer Lage“).

Unter dem hochtrabenden Begriff „Selztal Ensemble“ sollte sich eine Bauherrengemeinschaft finden, die in wohlklingenden Wohnblöcken wie „Haus Riesling“, „Haus Silvaner“ und „Haus Grauburgunder“ 21 Luxuswohnungen, einen Gemeinschafts-Pavillon mit Gäste-Apartment, einen Innenhof mit Wasserspiel, eine Grillterrasse und einen Fahrradraum finanzieren sollten.

An vorderster Verkaufs- und Vermarktungsfront stand Ortsbürgermeister Barth (CDU), der es sich nicht nehmen ließ, das private Bauvorhaben gemeinsam mit seinem Parteifreund Schlimmer (zu präsentieren und „keinen Zweifel“ daran ließ, dass „Die Gemeinde (…) hinter dem Projekt“ stehe. Da auch barrierefrei gebaut werden sollte, erklärte Barth das gesamte „Selztal-Ensemble“ gleich zum Mehrgenerationenhaus, ganz in der Tradition seines Vorgängers Müller, der während seiner Amtszeit beinahe jeden barrierefreien Neubau mit Aufzug als Mehrgenerationenhaus und soziale Errungenschaft feierte.

Als „Mehrgenerationen-Projekt“ wurde das „Selztal-Ensemble“ auch dem Land verkauft. Und „für Aufbau, Organisation, Vertragsgestaltung und begleitende Rechtsberatung sowie für Öffentlichkeitsarbeit“ wurden auch gleich Fördergelder der Landesregierung kassiert. „Verkaufsgenie“ Barth legte dann noch nach und behauptete schamlos, durch die Luxuswohnungen „werde die innerörtliche Entwicklung vorangetrieben“ und es entstände „bedarfsgerechter Wohnraum, auch für ältere Menschen.“ Barth rührte unermüdlich die Werbetrommel und philosophierte darüber, dass das neue „Selztal-Ensemble“ auch „das soziale Miteinander und den sozialen Umgang pflegen soll.“

Sein wahres Verkaufstalent stellte der ehrenamtlich tätige Ortsbürgermeister dann unter Beweis, als er die Zielgruppe der Alten mit folgendem Argument umgarnte: „Hier können Sie in Ruhe alt werden, ohne Ihre Wohnung verlassen zu müssen.“ Damals haben wir diese Anmerkung als peinliche Entgleisung und Diskriminierung eingestuft. Heute könnte man meinen, dass Barth, ohne dass er sich dessen bewusst war, als vorausschauend kluger und umsichtiger Lokalpolitiker schon vor der Corona-Krise Möglichkeiten aufgezeigt hat, wie man durch Isolierung und Separation eine besonders gefährdete Risikogruppe vor einem Virus schützt.

Nach über zwei Jahren und insgesamt vier Fristverlängerung für den Kauf des Grundstücks hat die Gemeindeverwaltung endlich gemerkt, dass es mit der Bauherrengesellschaft und dem „Selztal-Ensemble“ nichts wird. Ab dann überschlugen sich die Ereignisse. Hektik brach aus, und man wollte das Gemeindegrundstück so schnell wie möglich an den Mann bringen. Barth brachte sofort einen neuen Investor ins Spiel, der für das Betreute Wohnen des „inbetrieb“ aus Mainz-Hechtsheim für Menschen mit Behinderung Wohnraum und sogar noch 2 Sozialwohnungen zur Verfügung stellen wollte. Wenn dann noch Platz sei, so der hoffnungsfrohe Ortsbürgermeister, könnte auf dem Grundstück immer noch ein verkleinertes „Selztal-Ensemble“ seinen Platz finden. In diesem Zusammenhang schwadronierte er dann noch davon, dass sich „mitten im Ort“ eine „kleine Quartierlösung“ finden könnte, die, und darunter tut es ein egomanisch veranlagter Mensch nicht, „beispielhaft auch für andere sein kann.“

Wie viele Investoren sich noch im Rathaus die Klinke in die Hand gegeben haben und welche wirren Ideen sonst noch durch den Gemeinderat geschwirrt sind, wissen wir nicht. Letztendlich wurde das Grundstück an zwei Investoren verkauft und das Projekt „Selztal-Ensemble“ begraben und ad acta gelegt. So wie es aussieht errichtet der eine Investor jetzt profane Mietwohnungen, die er durch die Sparkasse Rhein-Nahe unter „Selztalhöfe“ vermarkten lässt. Der andere Investor errichtet neben seinem Betrieb ein großdimensioniertes Hochregal, das sich harmonisch in die bestehende Bebauung einfügt. So zerplatzen Träume. Wir sind schon ganz gespannt darauf zu erfahren, wer als nächster den Ortsbürgermeister und den Gemeinderat mit seiner sensationellen Idee begeistert und beschäftigt.
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