„Mikrobiologen erkunden neu errichtete Hiwweltour in Stadecken-Elsheim.“

Wir wissen nicht, wer sich hinter den Initialen S. U. verbirgt, sind uns aber zu 100 Prozent sicher, dass es nur ein „ausgebuffter Werbe- und PR-Fachmann“ sein kann, der sich im Geschäft der „heißen Meldungen“ und in der Welt der Sensationsberichterstattung bestens auskennt.  Denn wer es schafft, aus einer Banalität und einem Allerweltsvorggang ein Spektakel zu machen und zu einer Sensation hochzujubeln, der muss mit einem überdurchschnittlichen Phantasievermögen und einer außergewöhnlich kommunikativen Begabung ausgestattet sein. Beginnen möchten wir unseren Beitrag erst einmal mit einer Definition.

Laut Wikipedia handelt es sich bei der Mikrobiologie um „die Wissenschaft und Lehre von den Mikroorganismen, also Lebewesen, die als Individuen nicht mit bloßem Auge erkannt werden können: Bakterien, Pilze, Protozoen (Urtierchen), ein- und wenigzellige Algen (Mikroalgen) und Viren.“ Unentbehrliche Voraussetzung für die wissenschaftliche Arbeit von Mikrobiologen sind deshalb hochentwickelte Mikroskope und andere Vergrößerungsgeräte.

S. U. berichtet jetzt im Nachrichtenblatt Nr. 29 von einer Gruppe internationaler Mikrobiologen, die „gemeinsam mit Kollegen und ehemaligen Weggefährten aus Deutschland und Südkorea die Hiwweltour rund um Stadecken-Elsheim erkundet“ haben. Da denkt man doch gleich daran, wie hochkarätige Wissenschaftler, umgeben von dienstbeflissenen Assistenten/innen und akademischen Hilfspersonal jeden Stein auf der Hiwwelroute umdrehen, um die mit bloßem Auge nicht zu erkennenden und bisher nicht bekannten Mikroorganismen aufzufinden. Offensichtlich soll in dem Artikel der Eindruck erweckt werden, als ob es sich bei der Aktion um eine wissenschaftliche Exkursion und eine mikrobiologische Erkundung gehandelt hat. Doch wer jetzt geglaubt hat, dass auf der Erkundung aufsehenerregende mikrobiologische Erkenntnisse oder wissenschaftliche Sensationen gefunden wurden, der wird arg enttäuscht. Offensichtlich sind die hochkarätigen Wissenschaftler nur die Hiwweltour entlanggewandert und haben sich bei herrlichem Wetter einen schönen Tag in der freien Natur gemacht.

Es ging also nicht um eine wissenschaftliche „Erkundung“, sondern um eine ganz normale Wanderung. Auf Bakterien, Pilze, Viren und Protozoen gibt es in dem Artikel keinen einzigen Hinweis, auch nicht einen mikroskopisch kleinen. Offensichtlich hatten die Wissenschaftler ihre hochentwickelten Mikroskope nicht dabei und konnten mit bloßen Augen die mikrobiologische Vielfalt nicht erkennen. Stattdessen wurden sie von einem „Hiwweltourpaten“ aus dem Bauern- und Winzerverein über „Bodenbeschaffenheit (Tonmergelböden), Rebsorten, Pilzbekämpfung und Weinbau sowie geschichtliche Hintergründe, immer garniert mit einer Prise Witz und rheinhessischem Charme“ informiert. Ebenso hätte man vom Ausflug einer rüstigen Rentnergruppe berichten können, die sich an den „verschiedenen wunderschönen Plätzen mit herrlicher Weitsicht“ erfreute.

Anstatt mikrobiologisch tätig zu sein, erfuhren die Wissenschaftler, so im Artikel zu lesen, etwas über den alten Friedhof Hedesheim und die vielen Rastplätze, die „die liebevolle Handschrift der örtlichen Winzer“ tragen. Auch lernten sie „einen kleinen Weingarten mit Jakobsmuschel-Gedenkstein“ zur Erinnerung an die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostella kennen, die „die Stadecker (wo waren die Elsheimer?) Winzer und Ortsansässige bereits drei Mal gemeinsam gemacht haben.“ Oha! Auch die Geschichte der Stadecker Warte, auf der die Winzer früher ihre chemischen Schutzmittel gegen makrobiologische Schädlinge anrührten und anschließend die Weinberge kontaminierten, wird den Mikrobiologen erzählt.

Es findet sich keine Spur von Mikrobiologie oder gar neuen, mikroskopischen Erkenntnissen in dem Artikel über die „Erkundung“ der Mikrobiologen. Im Gegenteil, zum Schluss des Berichts und des Exkurses ist nicht vom Mikrokosmos, sondern nur noch von schierer Größe die Rede, wenn der „Hiewweltourpate“ Beck stolz verkündet, „dass Rheinhessen das größte Weinanbaugebiet Deutschlands ist.“ Und wenn am Ende der Wanderung für die Gruppe der internationalen Wissenschaftler Erfrischungen bereitstehen und die Exkursion der Mikrobiologen mit „Weck, Worscht und Woi“ endet, dann wissen wir alle, wer die Initiatoren der „wissenschaftlichen Erkundung“ sind: Es ist die Berufsgruppe, die am meisten von der Stadecker „Sehenswürdigkeit“ profitiert: Die örtlichen Winzer.

Und so ist es kein Wunder, wenn der örtliche Bauern- und Winzerverein jede noch so schwachsinnige Gelegenheit aufgreift, die Hiwwelroute im Gespräch zu halten. Wir würden uns nicht wundern, wenn demnächst Berichte auftauchen würden, die uns über den einzigartigen Fund von wertvollen Edelmetallen, den vermuteten Einschlag eines Meteoriten oder die sensationelle Entdeckung eines alten Römerwegs auf der Hiwwelroute in Erstaunen versetzen würden. Mit dem Kürzel S. U. hat man ja dafür die geeignete Person.

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